Sabine Kirste – IN AUGENHÖHE ODER DRÜBER

Freitag, 25. Januar 2013

Alle da –  von anthropologischer und malerischer Differenz

Ein Esel führt seinen Hund Gassi. Die Leine hängt entspannt durch. Grautöne  durchziehen die sacht ansteigende Parklandschaft, am Hinterkopf der Eselsmaske quillt lockiges Haar hervor, Sonne scheint, Schatten fallen, (Alles gut, 2011). Auf schmalen Schultern türmt sich aus wässrigen Ölfarben ein bärig (Dicker Kopf, 2011). Schwer ruht das deleuzsche ‚Tier-Werden‘ auf dem schmächtigen Unterbau, wogegen uns elegant und aufrecht ein etwa zwei Meter großes Pferd mit Daumen in (Geheimer Mission, 2012) entgegenschreitet. Kann man dem uralten Verhältnis vom Mensch und Tier – nach Lascaux, dem Sündenfall, Zeus, Rotkäppchen, Darwin, Kafka, Freud…  – als zeitgenössischer Künstler noch etwas abgewinnen, ohne aus der Haltung des Tierschützers oder -rechtlers zu argumentieren?

Unbedingt, wenn es auf so eigenwillige und überzeugende Weise geschieht, wie in den jüngsten Arbeiten der Malerin Sabine Kirste (*1979 in Karlsruhe, lebt und arbeitet in Bonn und Hamburg). Gerade weil die großformatigen Bildwelten der Meisterschülerin Gustav Kluges Mensch und Tier nie einseitig gegeneinander ausspielen, öffnen sie einen Raum jenseits der anthropologischen Differenz, der selbsternannten Überlegenheit des ‚Homo erectus‘. Aus verschatteten Augenhöhlen, erwidern Hase, Pudel, Pavian (Gruppe I, 2011) unseren Blick, bringen die Hierarchie ins Wanken. In Augenhöhe oder drüber behaupten Tier und Bild ihre Differenz.

Es ist das Tier als menschliches Faszinosum, als Projektionsfläche und als das unüberbrückbar Andere, dem die Künstlerin in ihrer malerischen Suche nachspürt und mit der Reflexion über das eigene Medium verbindet. So lässt sich in (Groß und Rot, 2011) etwas entfernt Wesenhaftes assoziieren, das vor allem aber rote Farbe ist, die uns aus zwei schwarzen Kreisen anstarrt. Denn obgleich Sabine Kirste figurative Zustände schichtet, in die Fotografien, Alltagsskizzen und Kunsthistorisches als Material einfließen, sabotiert und verunklärt sie diese wieder. Sie erhält Figur, Gegenstand und Raum, entzieht dem Betrachter auf der anderen Seite aber die selbstgewisse Verortung des Erkannten und folgt  beharrlich der Logik des Malerischen. In beidseitiger, sich durchkreuzender Annährung an eine Grenze – in der künstlerischen wie thematischen Auseinandersetzung –  entsteht jedoch kein assimilierendes Gleichgewicht, sondern Malerei, die „unsere Kategorien durcheinander [bringt], indem sie ihre Traumwelt leiblicher Wesen, wirksamer Ähnlichkeiten und stummer Bedeutungen entfaltet.“ (Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist)

Gerade in ihren Landschaften, die die Atelierhausstipendiatin des Bonner Kunstvereins seit ihrer Akademiezeit stetig fortentwickelt, waltet eine traumartige Eigengesetzlichkeit der Farben. Bunt gestrichelte Grashalme dringen bis in die obere Zone der Wolkenwellen vor, Blau, Gelb und Rot werden mit breiten Pinselstrichen ineinander getrieben und wachsen neben Pflanzlichem, verschwommene sowie abgeschabte Partien stehen neben pastosen Farbgirlanden. Oft scheint man sich tastend in Unterwasserlandschaften zu bewegen, die von anderer Schwerkraft und Zeit bestimmt sind, einen Sog entwickeln und unser Sehen in die Schwebe bringen (Es gibt keine Häuser, 2012). Angedeutete Narrationen, in die der Betrachter flüchtige Einblicke erhält, sind ebenso einer differierenden Realität verhaftet, der die klassische 0/1-Logik ratlos gegenübersteht. Was mache ich mit einem fratzenreich und  überdimensional vor mir aufragenden Totempfahl, der von einem sich öffnenden Maul bekrönt wird (Alle da, 2012)? Wie lässt sich ein (Wiesenhut, 2012) denken, der über einem Schädelfragment zu Marge Simpson-Frisur aufragt? Und warum glotzt mich der Mann im Bärenkostüm so hilflos-dämlich an (Grundfühlung, 2011)?

Nach Einzel- und Gruppenausstellungen, u. a. in Hamburg, London, Würzburg oder Bonn, eröffnet Sabine Kirste mit ihrer ersten Einzelpräsentation im Rheinland  das Ausstellungsjahr des Kunstvereins Koelnberg. Dass ihre neuen Öl- und Papierarbeiten, die aus dem ambivalenten Verhältnis von Mensch und Tier malerische Impulse gewinnen, gerade während der karnevalistischen Hochsaison und dann auch noch in Köln gezeigt werden, trifft sich zweifach:  Erstens, da laut dem russischen Theoretiker Michail Bachtin die widersinnig-anarchische Kraft des Karnevals ebenso im Überschreiten der 0/1-Logik, in der Realisation eines  anderen Gesetzes liegt, welches der poetischen 0/2-Logik des Traums folgt. Und zweitens: Wo wäre die erstmalig institutionelle Präsentation dieser Werke passender als in der Stadt, die ihr fußballerisches Glück in die Hufen eines Geißbocks legt? ‚Homo sapiens‘, ‚ludens‘  und ,animal rationale‘ sind in den kommenden Wochen gleichermaßen eingeladen, in die malerische Differenz von Sabine Kirstes absurd-poetischen Bildwelten einzutauchen.

–Michael Stockhausen, Bonner Kunstverein

Ausstellungsdauer: 26.01. bis 16.02.2012