Christian Keinstar – INVERSE MY HERESY

Freitag, 27. Januar 2012

Das solipsistische Kreisen von The Gate besteht aus einem schwarzen Stahlpfahl, der von einem sechsteiligen stählernen Astgewirr umgeben ist. Keinstar abstrahiert das Ensemble so weit, dass die formale, modulare Struktur der Plastik sichtbar wird, die letztlich aus nichts als aus verschieden dicken, miteinander verschweißten Stahlrohren besteht, so dass der in der Mitte stehende dicke Pfahl gewissermaßen eine vergrößerte Wiederholung eines der kleineren Stahlrohrelemente sein könnte, die den Pfahl umgeben. Andererseits ist die Assoziation zu Ästen und einem Marterpfahl wiederum so groß, dass man nicht umhin kommt, das Arrangement auch als stilisierten Scheiterhaufen inklusive aller Assoziationen zu Folter und Hexenverbrennungen zu lesen. In diesem Scheiterhaufen glost ein endloses schwarzes Feuer, an dessen Kälte wir uns verbrennen können.

Noch etwas kühler und tückisch designhaft zeigt sich der Schlangentisch, dessen Titel insofern durchaus wörtlich genommen werden kann, als Keinstar bei seiner Konstruktion vom bekannten Bild der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, ausgegangen ist. Damit zitiert der Künstler einen zentralen ägyptischen Schöpfungsmythos, den Ouroboros. Die sich selbst in den Schwanz beißende Schlange ist laut diesem Mythos der Weltumringler, der in sich sowohl das Potenzial zur Zerstörung wie zur Erneuerung enthält. Die Schlange, die sich selbst frisst, ist einerseits für ihren eigenen Untergang verantwortlich, und hält doch andererseits auch das Chaos und die Zerstörung fern, indem sie sich in sich selbst schließt. So produziert sie in ihrer Zirkularität zugleich die Kraft der Erneuerung. Der Schlangentisch präsentiert sich als auf fünf abgeknickten Beinen stehender Doppelring mit kreisförmiger Rinne. In diese Vertiefung, so Keinstar, ließe sich eine fünf Meter lange Schlange so hineinbetten, dass sie sich – so zusagen als irritierender Material Loop – in den Schwanz beißen muss, um den Kreis zu vollenden. Fixiert, und damit in Form gehalten, würde sie durch sechs selbstgemachte und mit diversen Benutzungsspuren versehene Ledergurte, die der Kühle des Stahlobjekts einen Anflug organischer, lebendiger Wärme entgegenstellen, und über die Lederhaut zugleich eine assoziative Brücke zur imaginierten Schlangenhaut schaffen. Zudem erinnern Gurte und Objekt aber auch auf eine unbehagliche Weise an S/M- und Bondage-Praktiken. Was uns Keinstar mit dem Schlangentisch vorführt, ist, wenn man so will, ein Apparat, der den Körper seiner Logik und Mechanik unterwirft – darin, wie auch in seiner libidinösen Aufladung nicht unähnlich dem Folterapparat aus Franz Kafkas In der Strafkolonie (1919). Alles zusammen zielt auf eine kalkuliert paradoxe Inszenierung von Körperlichkeit zwischen Schmerz, (Selbst-)Zerstörung und einer Sehnsucht nach Vollständigkeit, die ähnlich wie in The Gate gerade durch die reale Aussparung des Körpers seine imaginative Wucht erhält. Und dabei das Moment des Schmerzes und der Zerstörung nicht als Ziel, sondern als Zwischenstadium auf dem Weg zu einer anderen Form der Materialisierung, einem anderen Energiezustand begreift. Insofern geht es in allen Arbeiten Keinstars nicht um die Destruktion des Körperlichen, sondern um seine Verwandlung.

Für diesen widersprüchlich miteinander verhakten Prozess einer Bekämpfung des Körpers mit körperlichen Mitteln, der zugleich auf eine Überwindung des Körperlichen zielt, findet die Videoarbeit Left Hand Path eine überzeugende visuelle Metapher. Über eine mit bräunlichen Schlacken bedeckte dichte Oberfläche, die wie eine aus der Satellitenperspektive aufgenommene Landschaftsansicht wirkt, streicht behutsam und fast zärtlich eine dick behandschuhte Hand, wischt die Schlacken weg und enthüllt die wie eine hauchfeine Silberfolie schimmernde, zitternde Schicht darunter, die sich bei weiterem Zusehen als reines flüssiges Blei entpuppt. Aus dieser Bewegung über die Oberfläche des giftigen, dampfenden Metalls wird nach und nach ein offensichtlich mühsames Eintauchen der handschuhbewehrten Hand, bis sich schlussendlich der Schutzhandschuh in einen silbrigen, unförmigen Klumpen Blei verwandelt hat. Die Schönheit der sich vielfältig verändernden Bleioberfläche mit ihren schimmernden, an abstrakte Malerei erinnernden Reflexen steht hier in größtmöglichem Kontrast zu der Gefahr, der sich der Künstler beim Eintauchen seiner bewehrten Hand in das 350 Grad Celsius heiße Metall aussetzt. Es ist der Versuch einer Verschmelzung des eigenen Körpers mit dem flüssigen Bleikörper, der auch ein trotziges Aufbegehren gegen die eigene Sterblichkeit enthält. Und zugleich sehen wir den Kampf zweier, nicht miteinander kompatibler Körper und ihrer unterschiedlichen Aggregatzustände miteinander, der zu einem alchemistisch- entropischen Akt der besonderen Art führt, bei der die Formlosigkeit des Bleis die Form der Hand in die Unförmigkeit transformiert.

Eine fast zauberhaft anmutende Transzendierung des Physischen gelingt Keinstar mit Kanon 01, einer Arbeit, die zudem noch einmal auf die prozessuale, performative Dimension des Gesamtwerkes aufmerksam macht. Scheinbar lehnt hier eine Reihe von unterschiedlich großen und unterschiedlich dicken, rechteckigen Stahlplatten und Stahlblechen – sich dabei teilweise überlappend – einfach lapidar an der Wand. Ein modulares Ensemble von Elementarformen, die bei jeder Inszenierung jeweils neu arrangiert werden können. So weit, so vertraut. Was die Arbeit zu einem Ereignis macht, ist Keinstars ebenso einfache wie zwingende Idee, durch Hochleistungs-Magneten, die auf der Wand und auf den einzelnen Platten sichtbar angebracht sind, fast das gesamte Ensemble in einen magisch wirkenden Schwebezustand zu versetzen. Dabei sorgt die Abstoßung zwischen den Magneten dafür, dass die meisten Platten, nur auf ihrer Schnittkante balancierend, frei stehen. Zugleich ist jeder einzelne dieser in einen scheinbar unerklärlichen Levitationszustand versetzten Stahlplatten und -bleche in seiner schwerelosen Leichtigkeit abhängig von dem magnetbewehrten Kontext der übrigen Platten. Die Abstoßung zwischen ihnen ist die Bedingung dafür, dass die zum Teil enorm schweren Platten ihre eigentliche Körperlichkeit zu verlieren scheinen und aus dem Schweren, Lastenden das Leichte, Schwebende wird.

Immerhin einmal führt der durch unsichtbare Magnetströme energetisch befeuerte Kampf der Körper gegen die Bedingtheit des Physischen nicht zu Schmerz, Qual, Deformierung und Fragmentierung, sondern zu einem Moment der Aufhebung des Physischen. Ein prekärer Moment der Balance und zugleich ein stimmiges Schlussbild einer Ausstellung, deren dunkler, physischer Existenzialismus gerade, weil er alles andere als ästhetische Schonkost darstellt, noch lange nachhallt.

–Dr. Stephan Berg Auszug aus dem Katalogtext „Christian Keinstar – The Left Hand Path“, Kunsthalle Wilhelmshaven von Dr. Stephan Berg (Intendant Kunstmuseum Bonn)

Ausstellungsdauer: 28.01. bis 11.02.2012